Statistiken versuchen, die Wirklichkeit abzubilden. Bei abstrakten und vor allem bei neuartigen Konzepten wie Industrie 4.0 ist das gar nicht so einfach. Dennoch haben wir mal anhand aktueller Zahlen nachgeschaut, wie es um die vierte Industrielle Revolution derzeit bestellt ist.
Für den deutschen IT-Mittelstand ist Industrie 4.0 ein echtes Trendthema, meldet der Branchenverband Bitkom: Im aktuellen Mittelstandsbericht erklimmt es Rang 4 der wichtigsten Technologie- und Markttrends. Demnach bewerten 41 Prozent der befragten mittelständischen IKT-Unternehmen Industrie 4.0 als hochrelevant – ein Plus von 22 Prozentpunkten gegenüber 2014. Platz 1 behauptet Cloud Computing mit 67 Prozent, auf Rang zwei und drei finden sich IT-Sicherheit und Big Data.
Industrie 4.0 überschneidet sich doch mit den anderen neun Trends, mag der aufmerksame Leser denken. Tatsächlich zeigt sich hier das Problem der Trennschärfe. „Das Wort fasst ein komplexes Thema eingängig zusammen, lässt aber gleichzeitig Raum für eine eigene Deutung“, haben wir neulich geschrieben.
Wir halten diese Definition für geeignet: Industrie 4.0 ist die intelligente Vernetzung von Produktionsmitteln – Maschinen, Komponenten und weiteren Objekten. Zusammen bilden sie ein cyber-physisches System, Ziel: Autonomisierung und Flexibilisierung der Produktion innerhalb einer Smart Factory. Die Vernetzung beginnt auf der Hardware-Ebene mit Schnittstellen zum Datenaustausch. Die Intelligenz und das große Potenzial von Industrie 4.0 schaffen aber erst weitere Bausteine wie die Cloud Computing, Big Data, Prozessmanagement, am besten noch Mobile Computing (damit der Betriebsleiter Maschinendaten auf seinem Tablet checken kann). Beispiel: Eine Fräsmaschine fordert rechtzeitig neues Kühlmittel und Ersatzwerkzeug an, weil sich gerade eine ungewöhnlich große Zahl Werkstücke angekündigt hat, die schnell hintereinander bearbeitet werden müssen. Kurz: Maschine und Werkstücke haben automatisch miteinander kommuniziert, Entscheidungen getroffen und flexibel reagiert.
Wer also von Industrie 4.0 spricht, meint ein Konzept, das ein ganzes Bündel an Technologien vereint. Und wir halten fest: Die IT-Anbieterseite zählt Industrie 4.0 zu den wichtigsten Technologie- und Markttrends. Um das Bild vollständiger zu machen, schauen wir jetzt auf die Anwender, also jene Unternehmen, die in Hard- und Software-Lösungen investieren. Bei denen rangiert der Bereich Industrie 4.0 eher unten.
Auf die Frage, welche Technologien derzeit implementiert werden oder wo eine Umsetzung geplant ist, antworten lediglich 30 Prozent der CIOs: „Industrie 4.0: Sicherung von Produktionsanlagen“ (Studie IT-Trends 2015 von Capgemini). Fairerweise sollte man dazu sagen, dass Industrie 4.0 hauptsächlich für das produzierende Gewerbe relevant ist, für Dienstleister dagegen weniger. Entsprechend sind unter den Top 3 die branchenübergreifend begehrten Themen: Enterprise Collaboration, Data Quality Management und Apps für mobile Endgeräte (der Kunden). Diese Projekte stehen bei bis zu 46 Prozent der CIOs ganz oben auf der Liste.
Weil Industrie 4.0 als Konzept verschiedene Technologien vereint, findet man in der Lünendonk-Studie Der Markt für IT-Beratung und IT-Service den Begriff gar nicht in den konkreten Investitionsplanungen der CIOs. Man muss ihn sich aus Einzelelementen zusammenreimen (s.u.): Modernisierung von Alt-Software (hat die höchste Priorität bei den Anwendern), Business Analytics, Cloud Services, Virtualisierung – all das können Elemente eines Industrie-4.0-Konzepts sein.
„In der Produktion/Fertigung erhoffen sich Kunden und Anbieter durch Industrie 4.0 große Potenziale“, erläutern die Autoren der Studie. „Derzeit befinden sich die Unternehmen sehr stark in der Konzeptionsphase und prüfen die Machbarkeit. Die Technologien werden durch die Anbieter derzeit zur Marktreife entwickelt, sodass es noch einige Jahre dauern wird, bis hier Transformationsprojekte stattfinden.“ Und: Eine Vorreiterrolle bei Industrie 4.0 nehmen Automotive-Unternehmen ein.
Wie immer haben neue Technologien aber ihren Preis. Fragt man die Anwender, ist das größte Hemmnis bei der Einführung von Industrie-4.0-Anwendungen der hohe Investitionsbedarf. 64 Prozent der befragten Unternehmen nennen diesen Punkt. 50 Prozent sehen außerdem das Fehlen von Standards als großes Hindernis:
Fazit: Industrie 4.0 ist ein wichtiger Teil der Digitalisierung. Ein Drittel der Industrieunternehmen in Deutschland machen die ersten Schritte. Und aus dem Schlagwort formt sich langsam eine handfeste Wirklichkeit. Auch, wenn 38 Prozent der Unternehmen das Thema noch gar nicht erkannt haben oder lediglich diskutieren. Hier bleibt also auf der Entwickler- und Anbieter-Seite noch viel Informationsarbeit zu leisten: klare Kosten-Nutzen-Darstellungen, konkrete Fallbeispiele, Erfolgsgeschichten. Vom abstrakten Konzept zum nachvollziehbaren Vorteil – typische PR-Arbeit eben.